Inzidenzwert: Werden innerhalb von sieben Tagen 50 oder mehr Corona-Neuinfizierte pro 100.000 Einwohner registriert, dann müssen stärkere Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie her: weniger Alkohol, weniger Leute beim Feiern, mehr Maske – auch draußen. Denn: Dieser Inzidenzwert ist die Guideline für die Anti-Corona-Maßnahmen. Zum Beispiel für ein Beherbergungsverbot für Leute aus Corona-Hotspots. Aber auch nicht einheitlich. Sondern jedes Bundesland so, wie es meint, dass es passt…
Ganz ehrlich? Wer blickt denn bei den ganzen regionalen Corona-Maßnahmen überhaupt noch durch? Und all das nur wegen dieser einen Zahl, dem Inzidenzwert von: 50. Wie sinnvoll ist dieser Wert aus dem Monat Mai eigentlich überhaupt? Was soll dieser bloße Fokus auf die Neuinfektionen? Ist damit ein neuer Lockdown nicht auch schon automatisch vorprogrammiert? Possoch klärt!
Je stärker die Coronazahlen steigen, umso mehr rücken die Schwellenwerte in den Fokus. 50 Neuinfektionen in einer Woche pro 100.000 Einwohner: Das ist die Inzidenzgrenze. Bund und Länder haben im Mai für den Corona-Inzidenzwert einen Grenzwert von 50 festgelegt: Werden innerhalb von sieben Tagen so viele oder mehr Neuinfizierte pro 100.000 Einwohner registriert, müssen stärkere Maßnahmen zur Eindämmung der Epidemie umgesetzt werden. Eine Art Notbremsung soll einsetzen.
An dem Schwellenwert von 50 Neuinfizierten pro Woche und 100.000 Einwohnern gab es von an Anfang an Kritik. So betrachtete der Bundesverband der Ärzte des Öffentlichen Gesundheitsdienstes den Grenzwert Anfang Mai als viel zu hoch. Auch Berlin und Niedersachsen waren der Ansicht, es sei zu spät, erst bei dem Grenzwert von 50 auf die Bremse zu treten.
Damals wie heute wird auch die Basis für die Zahl hinterfragt. Es würde jetzt viel mehr getestet als im Frühjahr, sodass durch die Anzahl der Testungen die Wahrscheinlichkeit höher sei, dass der Wert überschritten wird.
Andreas Gassen, der Vorstandsvorsitzende der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, hat vor wenigen Tagen in der "Neuen Osnabrücker Zeitung" den Schwellenwert von 50 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohnern kritisiert. Diese Zahl 50 stamme aus einer Zeit, als es wöchentlich 400.000 Tests gab und die Positiv-Rate hoch war. Inzwischen werde dreimal so viel getestet bei viel weniger Test-Positiven. Als alleiniger Indikator für das Ergreifen einschneidender Maßnahmen sei die Zahl ungeeignet. Warnungen, die Pandemie könnte außer Kontrolle geraten, wertete er als überzogen.
Auf die Frage, warum nur die Neuinfektionen die Basis bilden, gibt der Sprecher des bayerischen Gesundheitsministeriums keine direkte Antwort, sondern den Hinweis, dass neben der Inzidenzgrenze auch andere Faktoren miteinbezogen würden wie "die Analyse des lokalen Ausbruchsgeschehens". Dieses könne eingegrenzt oder diffus verteilt sein. Bei einem begrenzten Ausbruch wie zum Beispiel im August auf einem Gemüsehof im niederbayerischen Mamming könne anders reagiert werden als bei Corona-Ausbrüchen, die verstreut in der Bevölkerung auftreten und deren Infektionsketten sich vielleicht nicht mehr vollständig nachverfolgen lassen. In Bayern habe sich das System aus dem Signalwert von 35 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohnern in den letzten sieben Tagen und der Inzidenzgrenze von 50 bereits bewährt.